Beamte, Kirchen und Daseinsvorsorge – arbeitskampffreie Zonen?
2014
62
5
May
176-185
labour dispute ; labour law ; public service ; public servant ; right to strike ; Church
Human rights
German
Bibliogr.
"Der Beitrag von Prof. Schubert ist als Thesenschrift überschrieben und basiert auf einem Vortrag im Rahmen des rechtspolitischen Kongresses von DGB, FES und HBS in Berlin am 25./26.3.2014. Prof. Schubert kommt zu dem Ergebnis, dass Einschränkungen des Arbeitskampfrechtes weder geboten noch verfassungsrechtlich oder nach internationalem Recht zulässig sind. Art. 9 Abs. 3 GG gestattet keine generellen arbeitskampffreien Zonen. Die Norm gebietet vielmehr, das Streikrecht lediglich einzelfallbezogen und nur in begründeten Ausnahmefällen einzuschränken. Art. 9 Abs.3 GG ist dabei nicht unantastbar. Gemeinwohlbelange können aber nicht pauschal vorgebracht werden, sondern nur Belange von ebenfalls verfassungsrechtlichem Rang. Das Streikrecht wird außerdem völkerrechtlich abgesichert. So ist nach der Rspr. des EGMR das Streikrecht als Menschenrecht und Teil des Art. 11 EMRK anzusehen. Andere Völkerrechtsquellen wie etwa Art. 6 Nr. 4 ESC und das ILO-Übereinkommen 87 oder auch Art. 28 GRCh wirken auf das deutsche Recht ein und haben Auswirkungen auf das Verhältnis des Streikrechts zu Art. 33 Abs. 5 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV. In einer Demokratie ist es außerdem auch nicht notwendig, arbeitskampffreie Zonen einzurichten. Im Gegenteil: Tarifnormen und ihre Durchsetzung mittels Streik sind vielmehr Merkmal gesellschaftlicher Demokratie, und ohne die eine politische Demokratie nicht denkbar ist. Das Arbeitskampfrecht enthält in Ausgestaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes i. e. S. ausreichende Instrumente wie Notdienste und Schlichtungsvereinbarungen, um gleichrangige Interessen im Verhältnis zum Streikrecht zum Ausgleich zu bringen. Weitere Einschränkungen sind rechtlich nicht erforderlich. Abzulehnen ist die verpflichtende Unterwerfung unter einen Schlichterspruch, Ankündigungsfristen für jeden Streikfall oder die Verpflichtung zu zwingenden Urabstimmungen. Sie sind aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder dem ultima ratio Prinzip nicht ableitbar und daher mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren.Arbeitskampffreie Zonen sind auch nicht für Beamtinnen und Beamte, für den kirchlichen Bereich oder für den Bereich der Daseinsvorsorge rechtlich geboten. Berufsbeamtentum, Alimentationsgrundsatz und Streik können miteinander in Einklang gebracht werden. Hierfür ist Art. 33 Abs. 4, 5 GG völkerrechtsfreundlich auszulegen, und der Beamtenbegriff funktionsbezogen auf den streng hoheitlichen Bereich zu beschränken. Art. 9 Abs. 3 GG gilt seinem Wortlaut nach für alle Berufe und Art. 33 Abs. 5 GG schützt kein statisches Gebilde sondern eine an die Wirklichkeit angepasste Betrachtung des Berufsbeamtentums mit Fortentwicklungsauftrag. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Staat selbst schon durch Privatisierungen oder den Einsatz von AN zeigt, dass er öffentliche Aufgaben nicht nur durch Beamte erledigt wissen will. Das Streikrecht kann auch in kirchlichen Einrichtungen nicht entfallen. Mit einem Streik, der die ultima ratio darstellt und verhältnismäßig ist, wird nicht in kirchliche/religiöse Bereiche eingegriffen. Es handelt sich nicht mehr um eigene Angelegenheiten der Kirche im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV, wenn sich kirchliche Einrichtungen wie andere Subjekte am Rechtsverkehr beteiligen und TV und Streik das Ziel verfolgen, allein die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu gestalten. Mit dem Hinweis auf Bereiche der Daseinsvorsorge lässt sich das Streikrecht ebenfalls nicht verdrängen. Bereits der Begriff ist ufer- und konturenlos. Außerdem gilt die Arbeitskampfmittelfreiheit auch in der Daseinsvorsorge. Auch Beeinträchtigungen Dritter durch Arbeitskämpfe sind grundsätzlich zulässig, da aufgrund von wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen das Streikrecht immer auch einen Drittbezug aufweist."
Paper
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