Der Corona-Effekt : Was wissen wir über die Arbeitsmarktsituation von Migrant ̲innen und Geflüchteten in der Pandemie?
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Friedrich-Ebert-Stiftung - Bonn
2022
32 p.
migrant worker ; epidemic disease ; vulnerable groups ; social integration ; labour market
WISO Diskurs
Januar 2022
Migration
http://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/18824.pdf
German
Bibliogr.
"Migration bedeutet nicht nur wachsende Vielfalt, neue Entfaltungsmöglichkeiten für die Zugewanderten und einen Zuwachs an wirtschaftlichem Potenzial für die Ankunftsgesellschaft, sondern sie ist auch mit erheblichen Kosten und Belastungen verbunden. Dabei wird meistens nicht thematisiert, dass die Betroffenen selbst den größten Teil dieser Kosten zu tragen haben. Menschen mit Migrationserfahrung sind in den Arbeitsmärkten ihrer Ankunftsländer durchweg ungünstiger platziert als die im Inland geborenen Menschen (vgl. Knuth 2020 mit zahlreichen Nachweisen). Die Gründe sind vielfältig: In typischen Herkunftsländern mit Auswanderungsdruck ist die durchschnittliche Ausstattung mit Humankapital meistens schlechter als bei uns, und mitgebrachte berufliche Qualifikationen werden hier entwertet durch Kontextverlust und fehlende Anerkennung (Knuth 2019). Karriereförderliche soziale Netzwerke müssen erst wieder neu geknüpft werden. Wer nicht fehlerfrei und akzentarm Deutsch spricht, wird als weniger kompetent wahrgenommen (Hansen 2013). Diskriminierung aus Gründen der Rasse, Herkunft oder Religion ist im Zusammenhang mit Personalauswahl mehrfach nachgewiesen worden (Kaas/Manger 2010; Koopmans et al. 2018; Weichselbaumer/Schuster 2021), wird von den Betroffenen auch im Alltag immer wieder erfahren (Schneider et al. 2014), aber von der Mehrheitsgesellschaft nachdrücklich beschwiegen. Allein durch den oft mehrschrittigen und gefahrvollen Weg nach Deutschland, durch das Warten auf Behördenentscheidungen sowie den Zeitbedarf für Spracherwerb und berufliche (Nach-)Qualifizierung erleiden Migrant_innen der ersten Generation im Wettrennen um berufliche Positionen einen berufsbiografischen Rückstand, der schwer aufzuholen ist. Wer als Geflüchteter in den Jahren seit 2014 nach Deutschland gekommen ist, befindet sich in aller Regel auch im Jahre 2021 noch „auf dem Weg“ des Spracherwerbs, der Qualifizierung und des beruflichen Ankommens und ist allein schon deshalb auf dem Arbeitsmarkt ungünstiger platziert als gleichaltrige Bildungsinländer_innen. Alles das ist jedoch nicht Gegenstand dieser Veröffentlichung, sondern ist ihr gewissermaßen vorausgesetzt. Es geht hier nicht um Probleme und Benachteiligungen von Geflüchteten im Allgemeinen, sondern um die Frage, wie sich die pandemiebedingten Einschränkungen von Wirtschaft, Bildung, Ausbildung und Behördenhandeln auf den Prozess der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten ausgewirkt haben, und insbesondere darum, ob Geflüchtete von den Folgen der Pandemiemaßnahmen stärker betroffen waren als die übrige Erwerbsbevölkerung. Anders gesagt, es ist nicht das Ziel dieser Untersuchung, ein weiteres Mal die Benachteiligung von Geflüchteten am Arbeitsmarkt aufzuzeigen, sondern zu fragen, ob sich ihre relative Position während der Pandemie verschlechtert hat. Darüber hinaus werden einige Überlegungen zu möglichen Langzeitfolgen angestellt, denn es kann ja durchaus sein, dass eine zunächst gleiche Betroffenheit von vorübergehenden Einschränkungen für eine vulnerable Gruppe nachhaltigere und langfristig negativere Auswirkungen hat. Für abschließende Antworten in der längerfristigen Perspektive ist es aber noch zu früh; es kann hier lediglich die Aufmerksamkeit für möglicherweise vor uns liegende Entwicklungen geschärft werden."
Digital
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