Fremdbestimmung des gewerkschaftlichen Streikrechts durch Kirchen – verfassungswidrig?
"Das BAG hat zwei Urteile zum Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen erlassen (in diesem Heft). Sie betrafen den sog. 3. (ver.di) und den 2. Weg (Marburger Bund). Das Urteil enthält gesetzesvertretendes Richterrecht – entscheidungsrelevantes und obiter dicta. Zu letzteren gehören Ausführungen , wonach Streiks ohne tarifliches Regelungsziel nicht geschützt seien. Generell, also unabhängig vom Arbeitskampfrecht, soll die Organisation kirchlicher Arbeitsverhältnisse zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgesellschaften gehören. Streiks in Kirchen seien unvereinbar mit arbeitsvertraglichen Loyalitätspflichten. Der Beitrag formuliert die an diesen Urteilen zu übende verfassungsrechtliche Kritik und verdeutlicht damit den Hintergrund der von ver.di eingelegten Verfassungsbeschwerde. Ver.di macht die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG geltend. Gerügt wird zudem eine aus der Norm nicht ableitbare Ausdehnung des Art. 137 Abs. 3 WRV. Arbeitsverträge, die vertragliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, erst recht die Bildung von und Betätigung in Koalitionen können daher keine eigene (iSv alleinige) Angelegenheit der Kirchen iSd Art. 137 Abs. 3 WRV sein. Die Erstreckung des Selbstordnungsrechts der Kirchen hierauf durch Behauptung als ihre eigene Angelegenheit usurpiert die Grundrechte des einzelnen AN wie der Gewerkschaft und hat keine Rechtsgrundlage in Art. 137 Abs. 3 WRV. Arbeitnehmer gehören nicht zum kirchlichen Proprium. Dagegen erfüllt der gewerkschaftliche, tarifbezogene Streik unstr. den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Völkerrechtlich ist auch der nicht-tarifbezogene Streik geschützt. Schließlich rügen die Autoren eine Verkennung der Grundsätze der praktischen Konkordanz."
Paper
The ETUI is co-funded by the European Union. Views and opinions expressed are however those of the author(s) only and do not necessarily reflect those of the European Union or the ETUI.